Literatur im Bau

Mo, 14. August 2017

Malerarbeiten

Information Nr. 7

Für die bevorstehenden Malerarbeiten bitten wir Sie, ihre Möbel zur Abdeckung auf den Balkon und zentriert in die Zimmermitten zu stellen. Bei nostalgischen Verstimmungen bezüglich der Übermalung ihrer Wohnspuren verweisen wir sie gerne auf unsere Mietersprechstunden.

Maler

Sie walzen alles weiss
malen, dass es blendet
dass es sämtlichen Wänden
die alten Stories entfremdet

Sie arbeiten für das Raum-Zeit-Kontinuum
machen mit dem Gewohnten Tabula rasa
machen die abgelaufenen Dreiraumkarten dicht
und übermalen Schicht für Schicht
der Mieter bisherige Geschicht'

Geschichten, dereinst erzählt in langer Liste
von Wohnarchäologen, von Gipslinguisten
in einer Sprache, welche die Mieter nicht verstehen
in Erzählungen, in denen sie sich selbst nicht sehen
Die frei gegrabenen vermeintlichen Spiegelwände
Übersetzungen, Interpretationen, Kontextualisierungen
nur Hypothesen gekleidet in historische Gewänder

Etwa die Geschichte vom Ehepaar Dahinden
es hätte sich allem Anschein mit Geschirr bekriegt
Dabei könnten die Krater auch bloss Kulisse gewesen
für ein Mondkojotenwandschattenspiel im Winter

Oder die Geschichte von Nino di Maria
die wild, verrucht, voller Partykratzspuren
mit einem Gecko und gezüchteten Grillen
aber eigentlich ganz anders war, viel stiller

Tommy Schleicher

Di, 13. Juni 2017

Bauleitung

Information Nr. 6

Koordination auf einer Baustelle ist dasjenige Element, welches dafür sorgt, dass aus Dutzenden von fleissigen Händen und rotierenden Gerätschaften verschiedenster Firmen und Berufsgruppen neuer Wohnraum entsteht.

Koordination auf der Baustelle manifestiert sich schlussendlich letztgelingend in Form einer einzelnen Person und Funktion. In der des Bauleiters.

Aus diesem Grund schickt die WSS für diese Position nur Qualität von Weltklasse auf Bauplatz.

Fitim der Bauleiter - eine Hommage

"Chönd mir's flicke?" - "Sicher klar!"

So etwas hört er gern. Motion ohne Stop. Fitim der Bauleiter agiert wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland. War er gerade erst noch hier, ist er schon wieder weg und erscheint urplötzlich anderswo. Nur grinst er dabei nicht und glaubt auch nicht an Wunder. Für Phantastereien fehlt ihm die Zeit. So beginnt dieser Vergleich rasch merklich zu hinken. Fitims Fokus liegt auf der Präzision und Geschwindigkeit der Bauarbeiten. So erinnert er mehr an ein durch die Baustelle ratterndes Duracellhäschen im Vorspulmodus. Aber das ist versteckte Produktplatzierung und gehört eigentlich auch nicht hierhin. Ausserdem ist das alles hier nichts für Kinder. Es wird nämlich zwischendurch, liebe Eltern, auch mal gehörig geflucht auf dem lieben Bau.

Fitim flucht nicht. Fitim lenkt. Fitim denkt. Fitim ist Regisseur, Dirigent, Coach. Ein Scorsese der Baustelle. Die Baustelle sein Set. Ein Karajan der Baustelle. Die Baustelle sein Orchester. Ein Mourinho der Baustelle. Die Baustelle seine Kabine.

Fitim beruhigt, wo einer spinnt. Fitim schlichtet, wo zwei gegeneinander spinnen. Fitim motiviert, wo drei nur den entstehenden Spinnweben zusehen. Fitim ist wie Spiderman. Obwohl - die unpassenden Trickfilmvergleiche hatten wir ja schon. Mein Fehler. Kommt nicht wieder vor. Lassen wir stattdessen Fitim sein eigener Held sein und schubsen ihn wieder in Bewegung:

Vorplatz, Untergeschoss, erster Stock, zweiter Stock, Dach, Tiefgarage, dritter Stock, erster Stock, Untergeschoss, Vorplatz ...

Fitim der Bauleiter trägt keinen Tracker. Seine Schritte sind nicht für die Statistik. Sie schreiten die Bauphasen ab. Schritt für Schritt für Schritt. Das ist es, was sie tun. Tag für Tag für Tag.

Es gibt nur etwas, das sie kurzfristig stoppen kann: Die Abnahme.

Und selbst dazu bedarf es einer ganzen Bauherrschaft.

Tommy Schleicher

Mi, 17. Mai 2017

Sanieren in bewohntem Zustand

Information Nr. 5

Liebe BewohnerInnen

Es ist uns bewusst, dass ein Umbau in bewohntem Zustand für Sie mit gewissen Unannehmlichkeiten verbunden ist. Um Ihnen und uns in der Zeit der Sanierungsarbeiten einen möglichst reibungslosen Ablauf zu ermöglichen, stehen wir Ihnen für diesbezügliche Fragen gerne während der Mietersprechstunden zur Verfügung.

Gegenseitige Toleranz und Flexibilität sorgen für ein angenehmes Nebeneinander.

Der Störer

«Das ist nicht recht!», rief der Mann, als er aus dem Schatten heraus auf die Baustelle trat. «Ich will euch doch nicht behindern!»
«Wie?», fragte der Sicherheitsdienst. Er stand in der Nähe und beugte sich zum Mann hinunter.
«Ihr macht auch nur eure Arbeit, das verstehe ich.»
«Ja.» Der Uniformierte betrachtet wieder mit verlorenem Blick, wie sich der Kran drehte.
«Ich will euch nicht behindern.»
«Das ist nett, danke.»
«Aber wird es schön, dann?»
Der Sicherheitsdienst löste sich vom Kran und betrachtete den Mann. Er ging ein wenig in die Knie, als er sagte: «Schön? Schön, das ist schwierig... das sieht jeder anders...»
«Ja, und es kommt wahrscheinlich darauf an, ob Sie ihre Arbeit gut machen können oder ständig gestört werden.»
«Natürlich.»
«Dann darf ich Sie nicht länger behindern.»
Der Mann blieb aber neben dem Securitas stehen. Ihm war ein Gemälde aufgefallen, dass man zur Entsorgung in den Vorgarten gestellt hatte: Es zeigte eine Alpenlandschaft, darunter einen spiegelnden Bergsee in kalter Sonne. Die Leinwand hatte ein Loch, so dass aus den Wipfeln einer Föhre die graue Wiese der Siedlung hervortrat.
«So ein Loch bin ich», dachte der Mann, «in dieser Baustelle. Ich trete heraus, behindere gar: Ich bin die Störung im Ablauf von allem.»
«Ist Ihnen nicht gut?», fragte der Securitas den Mann, der sich die Hände in die Nieren stemmte und zu Boden sah.
«Nein, nein! Lassen Sie sich nicht ablenken durch mich. Sie müssen Ihre Arbeit machen, eine gute und wichtige Arbeit.»
«Ist Ihnen schlecht?»
«Es ist nicht der Rede wert.» Der Mann richtete sich auf. Er war früher ein Störer gewesen und war oft mit strengen Blicken aus dem Klassenzimmer verwiesen worden. Jetzt aber gab es sehr wenig zu stören: Er lebte allein und konnte sich in seiner Wohnung aufhalten wie in einer geheimen Erinnerung. Nur wenn er nach draussen trat und den beflissenen Arbeiter begegnete, die tausend Dinge bewegten, bemerkte er seinen Stillstand.
«Ich glaube, mir ist ein wenig schlecht. Ist es in Ordnung, wenn ich gehe?»
Der Securitas sah ihn stirnrunzelnd an.
«Ich meine, darf ich einfach da unter dem Gerüst hindurchgehen?»
«Ja, natürlich.»
In der Passage drehte er sich nach dem Gemälde um. Es war schräg an einen Stein gelehnt, so dass er nun die Rückwand der Leinwand sah. Sie war beige und mit ranzigen Flecken übersät und zwei blühende Tulpen leuchteten jetzt aus dem Loch hervor, das in die Hässlichkeit geschlagen war.

Cédric Weidmann & János Moser

 

Do, 20. April 2017

Entrümpelung

Information Nr.4 

Das Entrümpeln ist etwas, das mit dem Menschen zu tun hat. Mit Papier, Mulden natürlich, Nostalgie meistens, manchmal mit dem Vergehen des Winters, mit Hummeln in diesem Fall, mit dem Tragen von Dingen den Gehsteig entlang und der italienischen sowie spanischen Sprache. Das Entrümpeln der Siedlung und die Turnschuhe fallen vom Balkon.

Datum: 21.März 2017

Wetter: der Himmel ist gleichgültig, Himmel beginnt weit oben, eine Hummel befindet sich auf einer Blüte am Wegrand. Das Wetter riecht nach Neubeginn, Reste von Winter. Beton.

Temperatur: Fingerspitzen angekühlt. Stein ist kalt von Winterresten im Morgen. (eine Hummel befindet sich an einer Blüte einer Blume vor dem Haus)

Bauarbeiter heben Türen in die Mulde. Staub, auch Lärm, auch eine ältere Dame auf dem Balkon, die alles beobachtet. Ihr Blumenkleid mit Staub an den Rändern.
Ein alter Architekt, der Architekt der Siedlung, auch er mit etwas Staub am Rücken, geht mit Dokumenten aus einer anderen Zeit. Er geht zur Mulde hin und legt die Dokumente vorsichtig in die Mulde. Es fällt Zeit auf Zeit auf Zeit. Die Zeit fällt in die Mulde.

In der Mulde:

- Türen
- Ordner
- Weihnachtsschmuck (golden mit Glocken, mit Rot, mit Gold)
- Sessel mit lederlosen Flecken
- wohnzimmerausfüllender Teppich, weinrot und mit Katzenspuren
- Katzenhaar auf Stoffaffen
- Ordner und an der Seite angegilbtes Papier,
   das aus den Ordnern fällt

Die Dame beobachtet die Arbeiter, eine Katze beobachtet die Dame, ein Herr geht vorüber, er scheint sich zu fragen, was das alles soll. Die Hummel fliegt um die ersten Blüten am Wegrand. Fragt sich nichts.
Auch die Katze nicht, auch Antonio nicht.

Antonios Kopf schwebt über dem Muldenrand.
Es ist ein guter Kopf, ein grosser, starker Kopf und Antonio trägt einen Helm auf seinem Kopf, wirft Ding um Ding um Ding in die Mulde.
Antonio lacht mit seinem starken Kopf, dass sich die Welt ein bisschen bewegt mit seinem Lachen. Ein anderer Mann mit Helm raucht. Er raucht und schaut dabei einer Dame nach. Die Dame trägt das Blumenkleid. Sie hat sich beim Architekten für das Haus und bei Antonio und dem Mann für das Tragen der Dinge bedankt.

Die Hummel fliegt davon.
Ware an Ware an Ware. Material auf Material. Zeit auf Zeit auf Zeit.

Und ein Kind in einem Kinderwagen starrt die Welt an. Es scheint etwas ganz anderes zu verstehen, als das, was hier passiert. Hier passiert Veränderung. Hier ist die Nostalgie in Form eines alten Architekten, ist Gegenwart in Form von Antonios Lachen, ist Möglichkeit von Zukunft in Form der Gegenstände, die in die Mulde fallen. Türen, Ordner, Dokumente, Teppich, Lampenschirm, Zeit.

Frühling kommt.

Julia Weber

Di, 11. April 2017

Autorenteam komplett

Mit Cédric Weidmann (inkl. seinem Coautoren János Moser) und Julia Weber, die unseren bisherigen Autoren Tommy Schleicher ergänzen, ist unser Literatur im Bau-Autorenteam jetzt nicht nur komplett, sondern auch perfekt aufgestellt.

Cédric Weidmann ist der aktuelle Gewinner des Literaturpreises Wartholz und bildet mit János Moser, Förderpreisträger des Aargauer Kuratoriums, ein kongeniales literarisches Zweimannteam.

Julia Weber brachte im Februar ihren Debütroman auf den Büchermarkt. Sie wird von uns unter anderem als literarische Liveberichterstatterin mitsamt ihrer Schreibmaschine direkt an die Baufront geschickt.

Mo, 27. März 2017

Erdbebensicherheit

Information Nr.3: Die Erdbebensicherheitswände werden neu erstellt und vom Keller aus, Geschoss um Geschoss über die gesamte Gebäudehöhe hoch gezogen.

Fühlen sie sich sicher, aber nicht zu sehr. Denn die grösste Erdbebengefahr geht seit jeher von der Liebe aus:

Tektonik

Wie Banane schälen sich meine Erdbebensicherheitswände aus ihrer Schale. Fühle mich total frisco. Und auch ein wenig vegas. Ich bin ein Schüttelbecher. Gebechert hab ich nur wenig. Habe mich ausgeschüttelt und weiss es jetzt: Ich bin dein Schüttelbecher.
Du würfelst mich durcheinander. Du rüttelst an meinem Mauerwerk. Du brichst meinen Schubwiderstand. Du brichst bei mir ein. Einbrecherin! Spielerin! Räuberin!

Du lastest vertikal auf mir und beanspruchst mich zentrisch. Mein Tragwerk trägt nicht mehr. Mein Tagwerk weist Risse aus. Dein Tanz versetzt mich in Torsionsschwingung. Du verdrehst mich. Du überdrehst mich. Ich verliere meine Erdung. Ich schwinge. Ich misslinge. Ich spinne. Du erschütterst mich. Du zerrüttest mich. Du schüttelst mich. Du zertrümmerst mich. Du bist mein Erdbebenschwarm. In meinem Kopf schwärme ich von dir. Inmitten meiner Hirnerschütterung schwärme ich für dich. Ganz allein nur wegen dir bin akut ich einsturzgefährdet. Ich bröckle. Ich knacke überall. Alarmstufe! Du machst Alarm in mir. Ich habe Panik und renne Stufen. Du bist mein Katastrophenszenario. Da staunt der Seismologe und die Biophysikerin wundert sich.

Tommy Schleicher

Mo, 13. März 2017

Aufstellung

Was es braucht, um einen Bauplatz einzurichten, ist vor allem eines: Street Credibility, die Glaubwürdigkeit der Strasse, alles andere ist einerlei, darum hier Information Nr. 2

in Form vom:

BauplatzSprechInstallationsGesang 

Hallo Gelände, hallo fünf-
hundert Hände aus fünf-
zig verschiedenen Ländern
Hallo Grundriss, hallo Pläne
Hallo Siedlung, hallo Mass-
stäbe, Hallo Eins
zu Fünfhundert und auf-
gezeichnet das Hallo für
das Equipment, das wir brauchen,
um der Häuserzeile
neues Leben einzuhauchen:

Hallo Baukran, hallo Toiletten
Hallo Mulde, hallo Paletten
Hallo Hobel, hallo Späne
Hallo Mannschafts-
container, hallo Bohrer
Hallo liebe Mieter
mit dem Dröhnen in den Ohren
Hallo Gehörschutz, bitte gern,
Sorry für den Lärm
und den Staub vom Verputz

Hallo Hauseingang, hallo Klin-
gelklang, hallo Infoaushang
Hallo Materiallager, hallo Tief-
garage, hallo knapper Platz
um den sich alle reissen
Hallo Frage, hallo Fahrer
Hallo Umparkieren und heissen
Dank fürs Kooperieren

Hallo Kasten, hallo schwere Lasten
Hallo Suva, lauf lieber zwei-
mal, hallo Geländer, Achtung Freifall
Hallo Sanitär, hallo Maler, hallo Gipser
Hallo Baustrahler, hallo fünf-
undfünfzig Watt, hallo erneuerte Stadt und

                                     – CUT–

Tommy Schleicher

Di, 31. Januar 2017

Mass genommen

Information Nr. 1  
Massaufnahmen

Sehr geehrte Bewohnerinnen und Bewohner

Für die bevorstehenden Massaufnahmen bitten wir Sie höflich, dem Literaten den Zutritt zu Ihren Wohnungen und Kellerabteilen zu gewähren. Es werden die Fenster, Küchen und Nasszellen ausgemessen sowie Sanitär-, Elektro- und Heizungsinstallationen aufgenommen bzw. verifiziert. Aufgrund allfällig auftretender Geistesblitze müssen aus Sicherheitsgründen die Fenster geöffnet werden und wir bitten Sie, ihre den poetischen Fluss hemmenden Gerätschaften während der Begehung kurzzeitig auszuschalten.

Begehung

Null Acht Hundert
Invasion im Morgengrauen
Die Invasion der Messgeräte
Eine Invasion von Zahlen
Zwölf Mann stark
Operation Massaufnahme
Von Anschlag ist zwischendurch die Rede
Es ist die Vermessung deiner kleinen Welt
Hundertfünfunddreissig Drei
Dreiundachtzig Sechs
Zweihundertzwei acht
Neunzig zwei
Vierundvierzig auf Einhundertzwölf
Wohnen in Zahlen, Regensbergstrasse Zweihundertacht

Tommy Schleicher

Di, 13. Dezember 2016

Bald geht es los!

Die Schreibkunst setzt sich einen Schutzhelm auf und tritt ihre Schicht auf der Baustelle an.

Ein von der WSS Architekten AG geleitetes Bauprojekt erhält literarische Begleitung von Tommy Schleicher und weiteren Autoren. Es wird ein Bauprojekt in bewohntem Zustand sein. Soviel sei schon einmal verraten.

Die Bleistifte sind jedenfalls schon gespitzt, die poetischen Sinne geschärft.

Weiteres folgt demnächst auf diesem Journal.